Montag, 20 März 2006
Es war einmal. Im August 1995. Man möchte es mir nachsehen, daß ich damals noch einen Chopper fuhr. Eine Honda Shadow-VF750C. Anbandelnder Weise plante ich damals mit einer Freundin einen Motorradurlaub nach Frankreich. Sie fuhr eine Kawasaki KLE500 und hatte erst ein halbes Jahr den Motorradführerschein. Ziel der Reise sollte Nizza sein, mit 3 Etappen durch die französischen Alpen. Die Rückreise wollten wir am Ziel planen.
Es ging bei uns im Ort über die Grenze nach Bitche - Hagenau und dort erstmal auf die Elsässer Autobahn Richtung Basel. Weil sie ja noch nicht lange den Führerschein hatte fuhren wir insgesamt sehr gemach. Nie schneller als 100 km/h. In Basel wollten wir den Weg in Richtung Laufen, Delémont einschlagen. Nur....jeder Weg der grob in dieser Richtung ausgeschildert war führte unweigerlich auf die Autobahn Richtung Bern. Da es schon sehr lange her ist, kann ich mich nicht richtig an die genauen Umstände erinnern. Auf jeden Fall hatten wir weder eine Plakette für die Autobahn noch wollte wir auf jener die Reise fortsetzen. Irgendwie kamen wir nach einer Irrfahrt zufällig am Bahnhof vorbei. Dort bin ich in einen Shop gerannt der unter anderem Stadtpläne verkaufte, schnappte mir einen von Basel und schrieb schnell einen Weg aus diesem Irrgarten heraus. Puhh..geschafft.
Nun kamen wir aus der Stadt raus und tatsächlich auf die von mir angedachte Route. Über Fribourg fuhren wir nach Vevey an den Genfer See und weiter nach Montreux. Als wir durch Montreux fuhren war es schon ziemlich spät und dunkel. Da wir dort recht hohe Übernachtungskosten vermuteten nahmen wir uns vor noch ein Stück weiterzufahren. Irgendwo zwischen Villeneuve und St.-Maurice schafften wir es nach etlicher Fragerei noch eine Übernachtungsmöglichkeit zu finden. Am nächsten Tag wieder alles aufgepackt und weiter ging’s über Martigny hoch auf den großen St. Bernhard. In Italien den Berg wieder runter nach Aosta und gleich westlich weiter auf den kleinen St. Bernhard, zurück nach Frankreich. Ab Bourg Saint-Maurice ging’s weiter in den Süden. Am späten Nachmittag kamen wir in Val d´Isere an. In anbetracht der Uhrzeit und dem vor uns liegenden Paß erschien es besser hier zu Übernachten. Val d´Isere seines Zeichens ein echter Touri-Ort, hatte reichlich Übernachtungsmöglichkeiten zu bieten. Nur war es hier noch teuerer als in der Schweiz. Es sollte ja nicht luxuriös sein, sondern nur etwas einfaches zum Übernachten. Und schließlich fand sich über die Tourist-Info noch ein, für die dortigen Verhältnisse, günstiges Haus. Aber...was für eine Absteige. Gut daß ich mich nicht mehr in allen Einzelheiten daran erinnern kann, wie es dort ausgeschaut hat. Das Frühstück am nächsten Morgen war dann passend zum Zimmer. Wer sich auf den Skiurlaub freut und dort eine Woche bucht, wird lange daran zurückdenken.
Wieder aufgesattelt ging’s in Val d´Isere nach dem Frühstück die Route des Grandes Alpes weiter, über den 2764 Meter hohen Col de l´Iseran bis kurz vor Lansleborug. Das Wetter bis dorthin war nicht sonderlich berauschend, aber wir blieben trocken und auf den Pässen wurde es erst ganz oben etwas kühler. Dort links weg hoch auf den Col du Mont Cenis und vorbei am gleichnamigen See. Der Lac du Mont Cenis liegt auf knapp 2000 Meter und es ist herrlich dort vorbeizufahren oder dort zu verweilen. Wer hier vorbeikommt, sollte auf jeden Fall halten und baren Fußes und mit hochgekrempelter Hose bis zum Knie in den See waten. Sagen wir es so: es ist sehr, sehr erfrischend. Bei Susa zweigten wir südwestlich ab, in Richtung Oulx und weiter nach Briancon. Briancon liegt auf ca. 1300 Meter und ist die höchstgelegene Stadt in Frankreich. Prompt mussten wir uns dann auch durch den Berufsverkehr durchschlängeln. Im Nachhinein betrachtet würde ich mir heute für die Fahrt wesentlich mehr Zeit nehmen. Wir kamen bis zu diesem Punkt bereits an vielen schönen Gegenden und Orten vorbei, an denen man etwas länger verweilen sollte. Denn gerade das ist mit das schönste in solch einem Urlaub. Aber: wir wollten doch an die Coté Azur; was soll’s. Durch die Staus durchgekämpft ging’s weiter in den Süden nach l´Argentière und weiter nach Guillestre. Es war wieder Zeit sich nach einer Bleibe umzuschauen. Wer entlang dieser Strecke mit Motorradklamotten zur Rezeption einer Pension oder eines Hotels kommt, braucht keine großen Französischkenntnisse um nach einem Zimmer zu fragen: "une Chambres - deux Personnes". Das reicht aus, damit das Gegenüber nickt und auf einen Zettel den Tarif für die Übernachtung notiert.
Der nächste Tag sollte den angenehmen Teil des Urlaubs abrupt beenden und bislang unvergesslich machen.
Nach dem Frühstück ging’s so richtig durchs Geläuf auf den Col de Vars und weiter bis nach Jausiers. Ab dort geht es einen wunderschönen und abwechslungsreichen Pass, 24 km hoch auf den Col de la Bonette. Der Col de la Bonette ist mit 2802 Meter der höchste Pass, bzw. anfahrbare Punkt in den französischen Alpen. Der Pass war damals größtenteils in schlechtem Zustand (ich bezweifle, dass er heute besser ist). Der Straßenrand, egal wie weit und wie steil es nach unten ging, war stets unbefestigt und auch dort wo es steil bergab ging fast immer ohne Absperrung. Vor allem auch viele Teerflicken überall am Weg entlang (komisch...wie in Deutschland…nur sind die geflickten Straßen nicht auf 2800 Meter ;-) ). Die Straße ist so schmal, dass es Stellen gibt an denen unmöglich zwei PKW aneinander vorbeikommen, geschweige denn die Wohnmobile die sich über den Pass zwängen. Und immer wieder Rennradfahrer. Wer einmal diesen Pass fahren möchte, dem empfehle ich, zwischen 07:00 Uhr und 08:00 Uhr aufzubrechen. Um diese Zeit ist man fast alleine mit den unzähligen Murmeltieren die entlang der Straße rumpfeifen. Es ist ein abwechslungsreicher und schöner Pass, den ich mittlerweile schon 3 Mal gefahren bin, der aber mit Vorsicht zu genießen ist.
Ganz oben wird’s auch richtig kalt. Auf der Passkehre kommt das erste Straßenschild auf dem Nizza ausgeschildert ist. Ines, meine Begleitung, stellte sich voller Vorfreude ans Schild und ließ sich fotografieren. Nachdem wir uns die Finger kurz warm gerieben hatten ging’s Talwärts; das Meer war nicht mehr weit. Wir fuhren vielleicht 3 Minuten bergab, als Ines ganz plötzlich aus meinem Spiegel verschwunden war. Sofort hielt ich an und im gleichen Moment stand ein vollkommen aufgeregter Fahrradfahrer neben mit und verdeutlichte mir, dass Ines sich wohl abgelegt haben muss. Gleich umgedreht, sah ich sofort die Bescherung. Ines lag dicht am Abgrund und das Motorrad oben drauf. Ich half Ihr unter dem Motorrad raus und zog das Fahrzeug vom Hang weg. Was passiert war wusste Sie selbst nicht genau. Vermutlich war sie mit langsamer Geschwindigkeit auf einem Teerflicken etwas in Richtung Abhang gerutscht, in Panik geraten und so irgendwie bremsend umgefallen. Auf jeden Fall hatte Sie großes Glück das sie nicht weitergerutscht war. Am Mopped waren bis auf ein paar Kratzer und einem verbogenen Schalthebel keine Schäden. Letzterer hatte sich zum Verformen allerdings als Gegenstück Ihren Fußknöchel gesucht. Sie konnte nicht mehr laufen, geschweige denn fahren. Kurz darauf hielten 2 Motorradfahrer aus Bayern bei uns an. Im Schock noch überlegend saßen wir da und hörten ein großes Tatütata aus Richtung St.Etienne herannahen. Es war die Feuerwehr.
So wie man sich verabschiedet, hat man sich auch begrüßt
Der Fahrradfahrer der den Unfall mitbekam hatte wohl die Polizei informiert und wie es schien den Unfall ziemlich drastisch geschildert, denn kurz darauf kam noch die Polizei aus Jausiers angefahren und noch ein paar Minuten später kam ein Hubschrauber angeflogen. Die von dieser Szenerie hier gezeigten Bilder, hatten die beiden Bayern geknipst und mir nach dem Urlaub zugeschickt. Ein Sanitäter schaute sich Ines Knöchel an und lies sie dann in den Hubschrauber einladen.
Bevor man die Tür zumachte sagte man mir noch, dass man sie nach Gap ins Krankenhaus fliegen würde.
Schon waren der Hubschrauber, Polizei und Feuerwehr weg und ich hatte ein Problem. Ich stand nämlich alleine mit 2 voll gepackten Motorrädern auf dem höchsten französischen Pass. Glücklicherweise ließen mich die beiden bayrischen Motorradfahrer nicht alleine. Einer von Ihnen hatte die Idee, auf ein Motorrad mit Sozius zu warten, bei dem der Sozius einen Motorradführerschein hat und eins der beiden Motorräder ins Tal fahren könnte. Gute Idee aber leider erfolglos. So beschlossen wir, dass ich mit einem Motorrad nach Jausiers fahren würde, um dies bei der hiesigen Polizei abzustellen. Dann wollten mich die beiden Bayern wieder zu dem anderen Motorrad zurückbringen. Aber ... das waren Bayern, also wurde bevor wir losfuhren, erst einmal Brotzeit gemacht. Am liebsten hätte ich ihnen Ihre Stullen den Hals runtergeschoben damit es schneller geht, aber ich sagte nix (was ziemlich selten vorkommt), war ruhig und sehr froh darum, dass sie sich um mich kümmerten. Dann ging’s endlich los. 24 km den Paß runter. Es dauerte ewig. Auf der Polizeistation in Jausiers erkannte man mich sofort. Mit Händen, Füßen und etwas Englisch konnte ich denen klar machen, daß ich mein Motorrad für eine Weile bei ihnen stehen lassen wollte. Mein komplettes Gepäck verblieb auf dem Mopped. Da das Motorrad auf dem eingezäunten Polizeigelände stand verließ ich mit einigermaßen gutem Gefühl und mit den beiden anderen Motorradfahrer die Polizeistation wieder in Richtung Bonette. Verständlicherweise hatten die beiden nicht wirklich Lust wieder den ganzen Pass hochzufahren. Deshalb hielten wir am Fuß des Passes nach einer passenden Fahrgelegenheit nach oben Ausschau. Auch diese gute Idee hatte keinen Erfolg. Entweder hielten die Leute nicht an oder meinen Helfern waren die Typen oder deren Fahrstil nicht verantwortbar, so dass sie mich mit denen nicht hochfahren lassen wollten.
Schließlich entschlossen sie sich dazu, mich selbst den Berg hochzufahren. Zur Hälfte des Passes stand am Straßenrand ein BMW mit deutsch Zulassung. Wir erklärten ganz kurz die Umstände und fragten ob sie mich den Weg mit hochnehmen könnten. Sie konnten. Also hatte ich mich von den beiden Bayern verabschiedet. Leider weiß ich heute nicht mehr Ihre Namen und ihre Adressen. Sollten die beiden das hier zufällig lesen, möchte ich mich nochmals ganz herzlich für die Hilfe aus dem Schlammassel bedanken. Vielleicht kennt jemand ein Bayer der solch eine Story schon erzählt hat und kann den Kontakt zu mir herstellen. Die beiden im BMW waren Vater und Sohn. Der Sohn saß mit mir wartend im Auto, während der Vater auf Schmetterlingsjagd war. Es war zum wahnsinnig werden. Endlich kam er von der Schmetterlingsjagd zurück und wir fuhren los. Tatsächlich stand das Motorrad noch wie abgestellt und alles Gepäck war noch dran. Dann ging’s wieder 24 km runter ins Tal und in Jausiers Richtung Westen nach Gap. Von Jausiers bis nach Gap waren es noch mal 80 km. Ich fuhr völlig bekloppt und überholte alles was mir in den Weg kam. Vielleicht sollte ich mir aufs Motorrad die 46"b" aufkleben ;-)
Irgendwann kam ich in GAP an und fand sogar recht schnell das Krankenhaus. Ines hatte man das Bein bis unters Knie eingegipst und war heilfroh als ich auftauchte. 1995 - das war die Zeit zu der noch nicht jeder ein Handy einstecken hatte. Ihr Erinnert Euch bestimmt noch an diese Zeit. Sie wusste die ganze Zeit überhaupt nicht wo ich war, wo sie ist, was ich unternahm und was nun passieren würde. Als erstes riefen wir ein Taxi dass uns an ein Hotel direkt am Bahnhof brachte. Ich fuhr dem Taxifahrer mit dem Motorrad hinterher. Dort mietete Ines für das Motorrad einen Stellplatz an. Am nächsten Tag ging es dann dem Zug zurück nach Deutschland. Unter anderem mussten wir in Sarreguemines umsteigen. Wir hatten allerdings zur wenige Minuten Zeit. Zuerst packte ich alles Gepäck, rannte zu dem Zug und stellte es ab. Dann wieder zurück um Ines zu holen. Die hatte keine Krücken und kam mir so gut es ging entgegen gehumpelt. Ich packte Sie und trug sie weiter. Als ich vollkommen außer Puste den Bahnsteig zum Zug hochkam hätte eigentlich der Zug gerade wegfahren müssen. Sarreguemines ist aber ein recht kleiner Bahnhof und als der Zugschaffner mich mit Ines auf den Armen die Treppe hochhecheln sah, winkte er mir sofort, dass ich langsam machen sollte. So viel Zeit musste sein. Wahr wohl gut, dass wir in Frankreich und nicht in Deutschland umsteigen mussten.
Zu Hause angekommen berichtete ich am nächsten Tag meinem Bruder. Wir mobilisierten noch einen Freund und fuhren zwei Tage später zusammen mit meinem Auto los. Zuerst nach Gap um das Motorrad von Ines und dann weiter nach Jausiers um mein Motorrad zu holen. Ich lud mein Gepäck bis aufs nötigste in den Passat und verabschiedete mich von den beiden. Mein Bruder und unser Freund fuhren mit Auto und dem Ines` Motorrad zurück nach Deutschland und ich fuhr noch mal auf den Bonette rauf und weiter in Richtung Nizza. Es ist eine schöne Abfahrt. Umso weiter man den Berg runter kommt, desto besser wird die Straße und je wärmer wird es. In Nizza angekommen ging ich in einen Andenkenladen, kaufte eine Schneekugel (diese Plastikdinger, die mit Wasser gefüllt sind und wenn man sie schüttelt schneit es) von Nizza und stärkte mich noch mal. Es war punkt 11:00 Uhr morgens als ich auf den Bock stieg und den Heimweg antrat. Den kürzesten Weg über Nationalstraßen und Autobahn. Da ich das Cockpit von meinem Mopped umgebaut hatte, hatte ich keine Anzeige mehr, die mir meldete wann es Zeit zum Tanken ist (braucht man als Chopperfahrer doch nicht ;-) ). Ich wusste nur, dass ich garantiert immer 200 km weit fahren konnte um dann die nächste Tankstelle anzusteuern. Aus irgendeinem Grund fing sich an diesem Tag der Wind wohl mehr in meiner Lederjacke als sonst. Das machte sich auch dadurch bemerkbar, dass ich um schnell zu fahren etwas mehr Gas geben musste als sonst. Plötzlich, mitten auf der Autobahn verzögerte das Motorrad. Ich rollte an den Standstreifen.
Der Tank war leer. Viel zu früh. Neben dem Standstreifen der Autobahn kletterte ich über einen Zaun und lief auf den gegenüberliegenden Parkplatz der Bergstation einer Seilbahn. Dort sprach ich mit meinem "English for Runnaways" einen Franzosen an, der gerade zum Gleitschirmfliegen gehen wollte. Ich erzählte ihm, dass mir der Sprit auf der Autobahn ausgegangen sei. Er hatte Erbarmen, lud mich in sein Auto ein und fuhr mich in den nächsten Ort zum Supermarkt. Erst musste ich einen Kanister kaufen und dann Sprit. Mit dem freundlichen Franzosen fuhr ich wieder zurück zum Parkplatz. Über den Zaun, zurück auf die Autobahn geklettert, betankte ich das Motorrad und fuhr weiter. Damit mir das nicht wieder passieren sollte zog ich meinen Regenoverall über und schon blies der Wind nicht mehr so bremsend unter die Jacke. Nun ging es weiter. Immer den Ersatzkanister voll mit Sprit. Ich fuhr immer bis das Mopped mangels Treibstoff liegen blieb, schüttete den Reservekanister um in den Tank und suchte dann eine Tankstelle. So ging das weiter bis zum Ziel. Ich weiß es noch als wäre es Gestern gewesen: in dem Moment als ich zu Hause ankam und den Motor abstellte schlug die Kirchturmuhr gerade 24:00 Uhr. Nach 13 Stunden auf dem Motorrad und fast 900 km Fahrt war ich müde und durchgefroren angekommen.
Der Urlaub war zu Ende und ich musste am nächsten Morgen wieder zur Arbeit.
Anderl